Seit 1975
nimmt die esoterische Literatur die vordersten Ränge auf der Frankfurter
Buchmesse ein. Seit dieser Zeit besteht in Europa ein ungebrochenes Interesse
am Schamanismus, welches zwangsläufig ethnische Komponenten aufweist.
Viele
Menschen beschäftigen sich heute mit schamanischen Lehren und Praktiken, die
ihnen von indigenen Völkern, von den Indianern Kanadas und Amerikas, den
letzten Nachfahren der Inkas in Peru, den Balianen und Dukuns in Indonesien,
den Voodoo Priestern in West-Afrika u.v.a. an die Hand gegeben wurden.
Die Ursache
für dieses ungebrochene Interesses am Schamanismus erblicke ich in einer
kollektiven Sehnsucht des westlichen Menschen, in einer Sehnsucht nach
Stabilität, nach Fortbestand der eigenen Spezies, nach Rückverbindung zur Natur und
unserer Vergangenheit. Jene Sehnsucht entfaltete sich im Westen in einer Umwelt, wo
soziale Veränderung dramatisch zunehmen.
Der westliche Mensch ist aus der
Geborgenheit, die in traditionellen Gesellschaften auch heute noch anzutreffen
ist, heraus gefallen. Er ist nicht mehr gebunden an eine bestimmte Tradition,
die ihm die Richtung weist. Vielmehr kann er seine Weltsicht aus unzähligen
Glaubensanschauungen selbst zusammen basteln. Dabei kann er aus einer Unzahl
von Weisheitslehren wählen, die entweder historischen Traditionen oder wieder entdeckten Mythen entstammen.
Die westliche Gesellschaft wurde in den letzten
Jahrzehnten immer komplexer, und das machte es für den Einzelnen immer
schwieriger, sich darin zu orientieren.
Die gesamte
gegenwärtige Entwicklung
konfrontiert das Individuum mit einer ungeheuren Fülle an Information,
während die sozialen Kontrollsysteme der zivilisierten Welt immer häufiger
versagen und für den Einzelnen immer undurchschaubarer werden.
Aus diesem
Grunde sehnt sich der westliche Mensch nach einer einfacheren Form der
Existenz. Er sehnt sich nach einem Leben in einer Umwelt, in der Ereignisse
und Beziehungen noch überschaubar, noch begreifbar und – zumindest
potenziell – noch handhabbar für ihn sind.
In der
modernen Welt stehen zwei große, entgegengesetzte geistige Strömungen
einander gegenüber: Wissenschaft und Liberalismus auf der einen Seite,
Religion und Konservatismus auf der anderen.
Während die
Wissenschaft und der Liberalismus zutiefst anti-spirituell sind, hält die
Religion und der Konservatismus an einer auf Mythen basierenden Welterklärung
fest, die als ‘praerational’ betrachtet werden muss.
In einem gewissen Sinne,
liegen Wissenschaft und Liberalismus mit ihrer anti-spirituellen Haltung
durchaus richtig, da alles, was in der Vergangenheit als ‘spirituell’
betrachtet wurde, heute als prärationales, mythisches, ethnozentrisches und
fundamentales Dogma entlarvt ist.
Der Liberalismus verdankt seine Existenz dem
Bedürfnis, sich von der Tyrannei prärationaler Dogmen zu befreien. Seine
noble Stärke liegt in der Proklamierung der persönlichen Freiheit, der
Menschenrechte und der Gleichheit der Menschen angesichts eines häufig
feindlich gesinnten und mit Zwangsmitteln agierenden Kollektivs. Und das ist
auch der Grund, weshalb sich der Liberalismus von Anbeginn mit der
Wissenschaft zusammen getan hat, nämlich um jene fundamentalistische, auf
Mythen basierende, prärationale Religion und ihre Tyrannei mit den Gründen
der Vernunft zu bekämpfen.
Aber weder die
Wissenschaft, noch der Liberalismus haben begriffen, dass es außer diesen
prärationalen Mythen auch noch ein transrationales Bewusstsein gibt.
Demnach
stehen einander nicht zwei, sondern tatsächlich drei gegensätzliche geistige
Strömungen gegenüber:
1. die auf Mythen basierende,
prärationale Religion,
2. der auf rationalen Erkenntnissen basierende Liberalismus und die
Wissenschaft und
3. eine neue Form transrationaler
Spiritualität.
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Und an dieser
Stelle kommen erneut die Stadtschamanen des 21. Jahrhunderts in unsere Betrachtung,
denn sie gehören für mich zu den Vertretern der letztgenannten geistigen
Strömung.
Wir wollen uns nun den
möglichen Aufgaben der Stadtschamanen in
unserer modernen westlichen Welt zuwenden.
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