Email des Anfragenden vom 9.6.2012:
"Lieber Friedrich,
Sie sagten, dass sie die
Beschäftigung mit dem Thema Glück für nicht zielführend erachten. Sie haben
Recht, dass uns unsere Glaubensanschauungen bei der Erkenntnis im Weg
stehen. Deshalb habe ich versucht, in meiner aktuellen Antwort Erkenntnisse
zu finden, die garantiert frei von persönlichem Glauben sind, und hoffe Sie
hier in Ihrer Meinung umstimmen zu können, und sie zu weiterer
Auseinandersetzung zu motivieren.
Als erstes Danke dafür, dass Sie sich Mühe machten, mir
die Informationen über Glück und verwandte Themen via Email zur Verfügung zu
stellen. Als nächstes muss ich sagen, dass ich es Schade finde, dass Sie so
überzeugt davon sind, unsere Diskussion könne nur ins Leere laufen. Ich bin
diesbezüglich anderer Ansicht, und hoffe Sie mit dieser Mail noch umstimmen
zu können. Ich versuche ihnen klar zu machen, dass man durch Nachdenken
sehrwohl zu Erkenntnissen gelangen kann, zu diesem Zweck stelle ich hier
Erkenntnisse und Definitionen in roter Farbe und gerahmt dar.
In Ihrem zitierten Text aus dem Duden heißt es Zufriedenheit wäre:
"a) innerlich ausgeglichen zu sein und nichts anderes zu verlangen, als man
hat; b) mit den gegebenen Verhältnissen, Leistungen o. ä. einverstanden zu
sein, nichts auszusetzen zu haben.“
Ich möchte nun versuchen eine Definition aufzustellen, die sicherlich nicht
vollkommen ist, mir als Ansatz aber geeignet scheint.
Zuerst folgende Dreiteilung:
Unzufriedenheit (=Leid) <-> Zufriedenheit <-> Glück (=Wohlfühlen oder
gesteigertes W.F.)
1) Unzufriedenheit ist ein Zustand, in dem ein Bewusstsein ungern verharrt.
Man erlebt Empfindungen, die sich negativ anfühlen. Da es fast redundant
wäre zu sagen: Unzufriedenheit sind Zustände, in denen man Leid erträgt,
halte ich folgende Definition für passender: UNZUFRIEDENHEIT IST EINE ZEIT
MIT ZUSTÄNDEN, DESSEN EHESTMÖGLICHES ENDE EIN BEWUSSTSEIN, DAS DIESE
ZUSTÄNDE ERLEBT, HERBEISEHNT.
(Z.B. Ich leide an unerträglichen Zahnschmerzen, weiß aber, dass diese nach
einem erlösenden Zahnarzttermin in ein paar Tagen vorbei sein werden. Dann
würde ich mir heute schon wünschen, dass der Tag des Zahnarztbesuches
bereits gekommen wäre, und ich die kommenden Tage des Leidens nicht erleben
müsste.)
2) Zufriedenheit wäre wie in Ihrem Text beschrieben ein Zustand des a)
Innerlich-ausgeglichen-Seins und nichts anderes zu verlangen, als man hat;
b) mit den gegebenen Verhältnissen, Leistungen o. ä. einverstanden zu sein,
nichts auszusetzen zu haben; Das heißt: ZUFRIEDENHEIT IST DER
NEUTRALZUSTAND. Man hat nichts ans seinem momentanen Zustand auszusetzen
(keine nennenswerten Sehnsüchte, Schmerzen, Ängste, Sorgen,...). Man sehnt
also nicht das Ende des Momentanzustandes wie bei der Unzufriedenheit
herbei, hat aber auch keine berauschenden, über den Neutralzustand
hinausgehende Glücksempfindungen.
3) Glück oder Glücklichsein wäre dann ein Zustand, der sich besser* anfühlt
als der Neutralzustand des Zufriedenseins. Glück ist eine gesteigerte
Stimmungslage im Verhältnis zur Zufriedenheit. Da es wieder redundant wäre
zu sagen: Glückszustände sind Zustände des Wohlfühlens, halte ich folgende,
etwas längere Definition für geeigneter:
Glück Definition A:
IM GLÜCKSZUSTAND ERLEBT DAS BEWUSSTSEIN EMPFINDUNGEN ODER ZUSTÄNDE, IN DENEN
ES LIEBER VERWEILT, ALS IN DEN ZUSTÄNDEN DER ZUFRIEDENHEIT. DER
GLÜCKSZUSTAND IST DER ZUSTAND, IN DEM DAS BEWUSSTSEIN SO LANGE WIE MÖGLICH
VERWEILEN MÖCHTE, WEIL DER GLÜCKSZUSTAND SICH „BESSER“ (WAS HIER
GLEICHBEDEUTEND IST MIT: FÜR DAS BEWUSSTSEIN ERSTREBENSWERTER) ANFÜHLT, ALS
DER NEUTRALZUSTAND DER ZUFRIEDENHEIT.
Oder: Glück Definition B:
IMMER WENN EIN BEWUSSTSEIN DIE WAHLMÖGLICHKEIT ZWISCHEN DEM ZUSTAND DER
ZUFRIEDENHEIT UND DEM ZUSTAND DES GLÜCKLICHSEINS HAT, WIRD ES SICH FÜR DEN
ZUSTAND DES GLÜCKLICHSEINS ENTSCHEIDEN. DER ZUSTAND DES GLÜCKLICHSEINS WIRD
VON EINEM BEWUSSTSEIN SUBJEKTIV ALS BESSER (=ERSTREBENSWERTER) EMPFUNDEN ALS
DER ZUSTAND DER ZUFRIEDENHEIT.
Oder: Glück Definition C:
GLÜCK ODER GLÜCKLICHSEIN IST DER ZUSTAND, DEN DAS
BEWUSSTSEIN (WENN ES EINE WAHL HAT) ALLEN ANDERN ZUSTÄNDEN DES NICHT
GLÜCKLICHSEINS, ALSO DEN ZUSTÄNDEN DER ZUFRIEDENHEIT UND DES LEIDS VORZIEHEN
WÜRDE. INNERHALB DER GLÜCKSZUSTÄNDE, DIE PER DEFINITION BESSER ALS DER
ZUFRIEDENHEITSZUSTAND (SIEHE DEF.) SEIN MÜSSEN, GIBT ES WIEDERUM ABSTUFUNGEN
VERSCHIEDENER GLÜCKSINTENSITÄT.
*besser bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als: „Für das
Bewusstsein erstrebenswerter“. Mit diesem, meinem Definitionsversuchen haben
wir eine Basis, auf der wir unsere Diskussion auf klarere Weise
weiterverfolgen können. Natürlich behaupte ich nicht, dass die Definition
optimal ist, und bin schon gespannt auf Ihr Feedback dazu!
Weitere Überlegungen und Erkenntnisse:
Eine Erkenntnis, die wir aus dem Paradox des Solon
schließen können, ist die:
Die Höhe einer Glücksempfindung kann immer nur das
Bewusstsein selbst, welches diese empfindet, beurteilen!
Lyderkönig Kroisos behauptet, ER wäre der glücklichste
Mensch auf Erden. Solon behauptet Athener Tellos wäre der glücklichere
gewesen. Ohne viel nachzudenken, erkennen wir: Beide liegen falsch! Es ist
schlicht und einfach unmöglich, das Maß an Glück anhand äußerer Umstände
festzustellen. Was wäre gewesen, wenn der Athener Tellos zeitlebens an
Depressionen gelitten hätte? Dann hätten ihn auch seine Heldentaten,
tapferen Söhne und gesunde Enkel nicht in hohem Maße glücklich machen
können. Ebenso ist es nicht möglich, die Glücksempfindung zweier Menschen
miteinander zu vergleichen. Stellen sie sich vor: Sie und ich erleben ein
ähnliches Glücksgefühl z.B. durch den Genuss einer Tafel Schokolade. Wer von
uns hatte nun das bessere Glückserlebnis? Oder zwei (andere) Personen
erleben einen sexuellen Höhepunkt, den sie sich selbst nicht schöner
erträumen können: Für wen war das Erlebnis besser?
Man kann Glücksempfindungen von unterschiedlichen
Menschen schlecht oder nicht miteinander vergleichen. Was aber sehr wohl
möglich ist, ist, dass jedes Bewusstsein FÜR SICH erkennen kann, welcher von
zwei Zuständen, die es erlebt hat, der bessere, angenehmere war. Was
ebenfalls möglich ist, ist festzustellen, ob man sich als Bewusstsein gerade
in einem Zustand des Leidens, Zufriedenseins oder Glücklichseins befindet
(siehe die oben genannten Kriterien).
Was, Plato, Sokrates zu sagen hatten:
Was die Punkte Lebensschulen, Lebensstile und
Moralvorstellung angeht, muss man sagen: Verschiedene Lebensschulen können
dazu beitragen, Zustände der Zufriedenheit oder des Wohlfühlen und Glücks
auf verschiedene Wiese zu erreichen.
Sie aber sagen dazu:
„...Allein die hier bloß beispielhaft aus der Literatur entnommenen
Betrachtungen stellen ganz unterschiedliche Positionen [...] dar, die mir
[...] teilweise artifiziell, teils nicht realistisch und teils sogar als
fehlerhaft erscheinen. Aber was würden denn passieren, wenn ich mich
angesichts dieses Material und dieser divergierenden Anschauungen betreffend
den Glückshorizont darauf einließe...“
* Was in mir die Frage aufwirft, wie Sie, als Mann der Wissenschaft, einen
derartigen Widerwillen entwickeln konnten, sich geistig mit dem Thema Glück
und Zufriedenheit auseinanderzusetzen!? Die unterschiedlichen Positionen,
die sie nannten, schließen einander ja nicht aus, und auch wenn ich nicht
sagen kann, wie erfolgsversprechend deren Strategien zur Erlangung des
Glücks sind, räume ich ihnen dennoch die Möglichkeit ein, dass man durch
ihre Befolgung (z.B. durch ein Leben in Tugend, Moral oder Gerechtigkeit) zu
einem glücklicheren, erfüllterem Leben kommen KÖNNTE.
Was Aristoteles zu sagen hatte:
Aristoteles bietet, was die Definition der Glücks angeht,
einen interessanten Ansatz: „Als höchstes und sich selbst genügendes Ziel
sei die Glückseligkeit allen anderen menschlichen Strebungen wie Ehre, Lust
und Vernunft vorgeordnet. [...] Ferner glauben wir, dass der Glückseligkeit
Lust beigemischt sein muss. Nun ist aber unter allen tugendgemäßen
Tätigkeiten die der Weisheit zugewandte eingestandenermaßen die
genussreichste.“
* Was ich hier (ohne mich tiefer mit dem Text beschäftigt
zu haben) herauslese, ist die Aufzählung verschiedener Möglichkeiten, sich
glücklich zu fühlen (z.B. durch die Lust, oder durch philosophische
Erkenntnis). Auch ich würde sagen, wie bereits oben definiert:
Glück oder Glücklichsein ist der Zustand, den das Bewusstsein (wenn es freie
Wahl hat) allen andern Zuständen des Nicht-Glücklichseins, also den
Zuständen der Zufriedenheit und des Leids vorziehen würde.
Durch unterschiedlichste Erfahrungen
kann die Glücksempfindung erreicht oder erhöht werden. Z.B. durch den Duft
einer Blume, die Schönheit der Natur, die Atmosphäre einer Stadt, den Glanz
der Architektur, die Harmonie eines Musikstückes, den Genuss einer Tasse
Kaffee, das Design eines Autos, den Unterhaltungswert eines Filmes, die
Schönheit luxuriöser Häuser, das Miteinander mit anderen Menschen,.... Oder
beim schöpferischen Akt kreativer Tätigkeiten, beim Spielen mit Freunden,
beim Lösen philosophischer Rätsel, beim Feiern von Festen mit Familie und
Verwandten, beim Laufen durch den Wald, beim Betreiben von Sport,... Diese
hier aufgezählte Vielfalt gründet einfach in der Tatsache, dass es eben
unzählige oder unendlich viele Möglichkeiten gibt, Glück (nach obiger
Definition) zu erreichen. Viele Wege führen nach Rom!
Friedrich, Sie sagten:
“Unsere Glaubensanschauungen bringen kein Licht in diese
Realität. Sie klären für uns nicht die Wirklichkeit, sondern sie vernebeln
bloß unsere Wahrnehmung derselben. [...] Auf diese Weise verstärkt unser
aller Geist (Bewusstsein) immer wieder seine eigenen, bereits akzeptierten
Glaubensanschauungen.“
* Sie haben Recht, ich stimme ihnen voll zu! Für eine weitere Diskussion
wäre somit als nächster Schritt von Nöten: Dass wir beide unsere gesamten
Glaubensanschauungen loslassen, sozusagen Tabula rasa machen und bei Null
beginnen. Dann können wir versuchen durch reines Nachdenken (und Beobachten)
zu Erkenntnissen zu gelangen. Das wäre der Weg, den ich mir für unsere
zukünftige Konversation wünschen würde, solange Sie noch Lust daran finden.
Weiters sagen Sie:
„So lange Sie (oder ich[...]) noch immer Ihren (unseren)
Glaubensanschauungen anhängen, können Sie (wir) diese Realität [nicht] klar
wahrnehmen, sondern werden auf diese Weise immer nur unser gesamtes Wesen
kompromittieren.“
* Deswegen ist es eben wichtig, dass wir unsere Glaubensanschau-ungen
zunächst loslassen um danach zu sehen, was wir (oder ob wir etwas) davon
retten können. Um es mit Descartes zu sagen: „Um zu ergründen, was wir mit
Bestimmtheit wissen, müssen wir erst alles Bekannte anzweifeln“. Das würde
für mich nun bedeuten, dass ich zwecks Diskussion und Erkenntnisfindung mich
zu der Haltung bekennen muss: „Ich weiß NICHT, ob das Bewusstsein die
Fähigkeit hat, unbegrenzt glücklich zu sein, oder die Absicht hegt, nach
Glück zu streben – wenngleich die Möglichkeit dazu besteht“.
Für Sie muss aber genauso gelten: ihre momentanen
Glaubensanschauungen fallen zu lassen, und ich hoffe meine Befürchtungen:
<Sie werden sich davor drücken, oder versuchen dem Gespräch auszuweichen,
was Sie ja bereits anklingen ließen> erweisen sich als unbegründet. Und ich
hoffe, Sie können sich doch dazu überwinden, auch Ihr Dogma: „Die Inhärenz
des Leidens“, in Frage zu stellen. Ich bringe Ihnen jedenfalls die
Bereitschaft entgegen zu sagen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß – und zwar
im Moment und über des Thema Glück“, und hoffe, Sie können mir das zwecks
Diskussion gleichtun.
Sie fragen mich:
„KÖNNEN SIE SICH ÜBERHAUPT VORSTELLEN, DASS AUCH IHRE
PERSÖNLICHEN UND SUBJEKTIVEN KONZEPTE BETREFFEND GLÜCK, STREBEN NACH GLÜCK,
ZUFRIEDENHEIT, LEBEN NACH DEM TODE, WESEN DER SEELE UND ALLE ANDEREN
METAPHYSISCHEN (und andere) BETRACHTUNGEN NUR DESHALB FÜR SIE DEN ANSCHEIN
HABEN, REAL ZU SEIN, WEIL MAN IHNEN SEIT IHRER FRÜHEN KINDHEIT UND IM LAUFE
IHRES HERANWACHSENS GRÜNDLICH EINGEBLÄUT HAT, DIE DINGE AUF DIESE WEISE ZU
BETRACHTEN?“
* Ja das kann ich! Aber erstens ist es nicht so, dass die
Überzeugungen,
die ich jetzt habe, aufgrund kindlicher, jugendlicher oder sonstiger
Indoktrination habe, sondern diese sind Ergebnisse jahrelanger rationaler
Überlegungen – wenngleich ich auch hier die Möglichkeit von Irrtümern und
Trugschlüssen einräume und meine Anschauungen, wie gesagt, vorerst für
nichtig erkläre. Ich kann auch nachvollziehen, dass Sie den Eindruck haben,
meine Überzeugungen hätten ein dogmatisches Fundament, oder wären NUR
Ergebnisse von Wunschvorstellungen. Das liegt aber daran, dass ich bisher,
in unserer erst kurzen Diskussion noch nicht die Gelegenheit ergriff, Ihnen
näher zu erläutern, wie ich zu meinen Überzeugungen komme. Und ich würde
mich freuen Ihnen diese im Laufe der Zeit näher bringen zu dürfen. Die Frage
ist also vielmehr: KÖNNEN SIE, FRIEDRICH, SICH VORSTELLEN, DASS IHRE EIGENEN
ÜBERZEUGUNGEN, DIE JA NUR AUF BUDDHISTISCHEM DOGMATISMUS BERUHEN, ILLUSIONEN
SIND?
Weiters sagen Sie Dinge wie:
„Sehen Sie, N.N.! Wenn Sie stark genug an einen Gott
glauben, dann haben Sie auf die von mir aufgeworfenen Fragen auch irgend
eine Antwort parat, [...]. Wenn Ihr Geist durch die Fragestellung verwirrt
wird, werden Sie einfach den Gegenstand der Frage vermeiden, die Realität
ignorieren UND DENNOCH IHRE PERSÖNLICHE GLAUBENSANSCHAUUNG AUFRECHT
ERHALTEN.“
* Das ist eine etwas vorschnelle Unterstellung, die sie mir hier
entgegenbringen, und ich muss Ihnen sagen, dass Sie hier gleich in mehreren
Dingen falsch liegen (was ich Ihnen aber nicht übel nehme).
Ich glaube nicht an die Existenz eines Gottes, bin aber aufgrund meiner
Erfahrung davon überzeugt, dass mein Bewusstsein einer übersinnlichen Seele
entspringt.
Gebe ich überhaupt keine Antworten ab, die ich aufgrund irgend-welcher
Indoktrination oder Wunschvorstellung „parat habe“. Sondern meine
Überzeugungen beruhen auf rationalen Überlegungen (auch wenn momentan der
Anschein herrscht, dem wäre nicht so).
Ich bin keineswegs jemand, der irgendwelchen Fragen ausweicht, bloß weil sie
meine Überzeugungen ad absurdum führen könnten. Fragen auszuweichen und die
rationale Auseinandersetzung zu scheuen, ist doch vielmehr das Verhalten,
dass Sie, Friedrich, hier ganz stark an den Tag legen. Mit Phrasen über die
Sinn- und Ergebnislosigkeit jeder Diskussion, versuchen sie sich doch vor
einer rationalen Auseinandersetzung zu drücken und wollen verhindern, Licht
hinter IHRE buddhistischen Dogmen (z.B. von der Inhärenz des Leidens) zu
bringen. Auch wenn Sie es nicht müde werden, die so genannte „Sinnlosigkeit
einer Diskussion“ als Vorwand zu verwenden, sich nicht rational mit IHREN
Glaubensanschauungen auseinandersetzen zu müssen.
Sie haben mir ja klargemacht, dass der Buddhismus ein recht trostloses
Szenario verkündet, indem der Mensch, zu unvermeid-barem Leid verdammt, die
Geisel eines nicht näher erkennbaren „Einen Bewusstseins“ wäre. Eine
Religion, die den Mensch auf eine Art Instrument reduziert, das diesem
„Einen Bewusstsein“ zur Selbsterkenntnis dienen muss, ohne selbst über
seinen Entwicklungsweg bestimmen zu können. Ich selbst fühle mich durch den
Buddhismus aber nicht bedroht und wünsche auch Ihnen, sich durch das
Vorhandensein dieser Religion nicht allzu sehr einschüchtern zu lassen.
Malten doch schon viele andere Religionen den Teufel an die Wand, sei es in
Form der Höllenparanoia des mittelalterlichen Christentums, oder der
unweigerlichen Befleckung des Menschen durch die Erbsünde.
Bedenken sie folgende, Ihre Überzeugung: „Der Mensch wäre das Opfer dieses
EINEN BEWUSSTSEINS, und somit zum ewigen Leiden verdammt“, ist nichts weiter
als ein düsteres Dogma, dass irgendwer, irgendwann in die Welt gestreut, und
Buddhismus genannt hat. Sich dem zu verschreiben ist im Wesentlichen nichts
anderes als die Angst vor dem so genannten „Fegefeuer“ oder der Panik beim
vorehelichem Sex bzw. wegen Konsum von Alkohol und Schweinefleisch in der
christliche bzw. muslimische Hölle zu landen. Sie haben in Ihrer letzten
Mail recht eindrucksvoll gezeigt, dass sie ein historisch und geschichtlich
bewanderter Mensch sind, von daher wissen Sie, dass es in jeder Epoche
Scharlatane gab, die versuchten die Menschen mit apokalyptischen Aussagen in
Angst und Schrecken zu versetzen – warum sollte es mit den Verkündern des
Buddhismus anders sein? Lassen Sie sich doch von den Aussagen des Buddhismus
nicht entmutigen, indem sie seinen Thesen allzu großen Stellenwert
beimessen.
Sich mit der Begründung: „Weil man in dem Bereich aus Komplexitätsgründen
ohnehin keine befriedigende Erkenntnis gewinnen könne“, nicht mit einem
Thema auseinandersetzen zu wollen, halte ich – und bitte verzeigen Sie mir,
wenn ich mich hier so direkt ausdrücke – für kein besonders reifes,
aufgeklärtes oder gar wissenschaftliches Verhalten. Ich denke durch
rationales Denken kommt man IMMER auf einen Punkt, wo Ungereimtheiten ans
Tageslicht gebracht oder zumindest Missverständnisse ausgeräumt werden und
man somit der Wahrheit ein Schritt(chen) näher kommt. Insofern würde ich es
begrüßen, wenn Sie die Motivation aufbringen könnten, sich weiterhin
rational mit unserem Thema zu befassen – wie das Ergebnis auch aussehen mag:
Nachher sind wir sicher klüger als vorher, und vergebens ist es bestimmt
nicht! Ich nehme es Ihnen aber nicht übel, sondern sehe es als Ihre
berechtigte Entscheidung, wenn Sie das Thema „Wonach streben wir?“ und „Wozu
leben wir?“ weiterhin mit unhinterfragten Dogmen anstatt rationalen
Überlegungen beantworten und gegen den Buddhismus kapitulieren. Ich für
meinen Teil werde mich nicht davon abhalten lassen, der Fragestellung in
aufgeklärter Weise mit Denken und Vernunft nachzugehen, und fände es schade,
falls sie (im Moment) noch nicht dafür bereit sind.
In diesem Sinne, hoffentlich bis bald -und viele Grüße Ihr N.N."
Meine Antwort darauf vom 9.6.2012
"Lieber N.N.,
Bitte nehmen Sie zunächst einmal zur
Kenntnis, dass ich mich in dieser Diskussion (Um was denn, eigentlich?)
weder streiten, noch messen, noch profilieren möchte. Ich bin weder
erleuchtet, noch die Wahrheit, und habe dieses Faktum von Anfang an klar
gestellt. Ich will Sie weder manipulieren, noch von meinen Perspektiven
überzeugen, und es liegt mir wirklich fern, Sie davon abzuhalten, der
Fragestellung (Ja, welcher eigentlich?) mit Denken und Vernunft nachzugehen.
Bitte tun Sie sich da keinen Zwang an und machen Sie doch weiterhin, was
immer Sie wollen...
Allerdings habe ich auf meiner langen
Reise durch das Leben einige - für mich gültige - Einsichten in diese
Wirklichkeit erlangt und dabei auch Zusammenhänge erkannt, deren Resultate
ich in mein Leben zu integrieren suche, weil diese für mich Sinn machen und
mein Leben erleichtern, indem sie mehr Harmonie in mein Dasein bringen. Das
gilt insbesondere für meine Wertschätzung der Zufriedenheit und für meine
Ablehnung dem Glück hinterher zu rennen bzw dem ständigen und illusionären
Bemühen im Hinblick auf Leidvermeidung.
Im Gegensatz zu Ihnen, bin ich der
Auffassung, dass wir den Bereich der Metaphysik NICHT mit unserer Vernunft
ausleuchten können, zumal hier grundlegend andere, eben meta-physische
Bedingungen vorherrschen und deshalb in diesem Bereich auch grundlegend
andere "Gesetzmäßigkeiten" gelten, als in der physischen Welt der
Erscheinungen. Allein aufgrund dieses Umstandes dürfen wir m.E. auch NICHT
davon ausgehen, dass wir durch rationales Denken im Bereich der Metaphysik
auf einen Punkt kommen könnten, der es uns - wie Sie meinen - ermöglichen
könnte, bestehende Ungereimtheiten bzw Missverständnisse betreffend das
Wesen, den Sinn und Zweck jener "Dinge", "Energien", "Ideen" und
"Empfindungen" auszuräumen, welche der metaphysischen Sphäre zuzuordnen
sind. MaW.: Jede Aussage, die wir über diesen intangiblen Bereich tätigen,
ist letztendlich eine irrationale Spekulation, welche der Illusion viel
näher steht als der Wahrheit.
Rufen Sie sich dazu in Erinnerung,
dass es auf dieser Welt viele unterschiedliche Religionen und Hunderte
Sekten gibt, welche alle miteinander vorgeben, dass ihr jeweiliger Gott der
einzig wahre sei und jede andere Gottesvorstellung falsch oder eine Illusion
wäre. Bei einer derartigen Konstellation liegt es doch eher auf der Hand,
dass ALLE Aussagen über Gott reine Spekulationen sind, denen kein
Wahrheitsgehalt beigemessen werden kann. Wir befinden uns also hier im
Bereich des Glaubens, und damit im Bereich des Nicht-Wissens.
Ein Gleiches gilt für die
unterschiedlichen Auffassungen der brillantesten Geister zum Begriff des
Glücks. Sie alle haben der Welt - wie in meiner letzten Email aufgezeigt -
ihre subjektive Perspektive betreffend das Glück und das Streben danach
geboten. Allein die Tatsache, dass hier völlig unterschiedliche Aussagen
getroffen wurden, lässt erkennen, dass es sich bei diesem Thema um ein
solches handelt, dass in weiten Teilen der Metaphysik zuzuordnen ist, dh
dass wir, soweit dies der Fall ist, bloß darüber spekulieren, aber
keinesfalls allgemeingültige Aussagen treffen können.
Ungeachtet dieser grundsätzlichen
Feststellung, möchte ich einen letzten Versuch wagen, mich zu vermitteln.
Dabei werde ich aber die mir geeignet erscheinenden Parameter anlegen und
keinesfalls jene, die Sie als vernünftig oder wissenschaftlich bezeichnen.
Ich möchte mich auch vor einer sinnvollen Diskussion nicht drücken,
sondern bloß vor einer völlig unsinnigen, die notwendig ins Leere geht.
Bitte nehmen Sie auch das zur Kenntnis.
Also beginnen wir - wie von Ihnen
vorgeschlagen - bei der Stunde Null mit layman words...
Lassen Sie uns dazu einmal alles
vergessen, was wir wissen, und lassen Sie uns die einfachste Ausgangsbasis
anlegen, die wir uns denken können, nämlich das bloße Gewahrsein von
Existenz. Dieser Zustand währt nicht lange, denn das Bewusstsein hat die
Tendenz, den Sachverhalt zu erforschen. Dabei wird es sich auch seiner
selbst gewahr und so taucht die Frage auf: Wer ist es, der hier erkennt?
Die Antwort darauf lautet immer: Ich bin es! Das bedeutet, dass in
der bis dahin nicht-dualen Bewusstseinsszene soetwas wie ein Beobachter
auftaucht. Im Rahmen des gegenwärtigen Geschehens nimmt das Bewusstsein
einen Standpunkt ein, identifiziert sich mit einer Person aus dieser
Bewusstseinsszene und erlebt sich folglich als ICH im Gegensatz zum DU.
Dieses "Ich" erfährt sich als ein unabhängiges, abgegrenztes Wesen, das in
einem Körper zu wohnen oder zumindest damit verbunden zu sein scheint und
aus dieser begrenzten Perspektive heraus um sich schaut.
Die Ich-Identität bringt die
Unterscheidung in Subjekt und Objekt, in Mein und Dein. Gefangen in dieser
Ich-Identität, erfahren wir uns als klein und schwach, als unvollkommen und
getrennt vom Rest der Welt. Unsicherheit und Angst treiben uns an, etwas zu
tun. Wir wollen dieses "Ich" schützen und sind um es besorgt. Wir suchen
Schutz in materiellen Dingen, und die Leere, die wir spüren, versuchen wir
durch Konsum zu füllen. Doch zu unserer Bestürzung müssen wir erkennen, dass
wir nicht alles bekommen können, was wir uns wünschen, und dass das, was wir
bereits haben, bei weitem nicht ausreicht, um uns vor existenziellen
Bedrohungen zu schützen. Da wir außerstande sind, die Gegebenheiten zu
ändern, sie aber auch nicht länger ertragen wollen, beginnen wir, unseren
eigenen, subjektiven Film darüberzuprojizieren.
Auf den ersten Blick scheint das zu
helfen. Wir projizieren fehlerhafte Eigenschaften auf Personen, Dinge und
Ereignisse, bis sie den Bildern unserer Sehnsüchte entsprechen, und halten
damit die Hoffnung aufrecht, dass unsere Bedürfnisse doch noch befriedigt
werden können. Das einzige, was dazu fehlt, so denken wir, ist, dass wir
einem bestimmten Menschen näher kommen, ein bestimmtes Objekt erwerben oder
an einem vielversprechenden Ereignis teilhaben. Wir leugnen die unangenehmen
Aspekte der Welt und ignorieren, was uns nicht gefällt. Wir vertuschen und
beschönigen persönliche Unzulänglichkeiten und Schwächen, um unser
Selbstwertgefühl etwas anzuheben. Ebenso verdrängen wir schmerzhafte
Erfahrungen und Ängste aus unserem Bewusstsein. Indem wir Wünschenswertes
projizieren und Unerwünschtes verdrängen, flüchten wir in trügerische
Illusionen. Da aber unsere selbst geschaffene Fantasiewelt nicht mit der
konventionellen Wahrheit - dh mit der allgemeingültigen Wirklichkeit, die
von allen geteilt wird - übereinstimmt, führt das unweigerlich zu neuen
Konflikten und Leiden, und wir geraten immer mehr in unsere
selbst geschaffenes Melodrama.
Wenn wir nicht in Täuschung und
Illusion leben wollen, müssen wir damit aufhören, die Augen vor Problemen
und Leiden zu schließen. Wir müssen unseren bisherigen Gewohnheiten und
Tendenzen entgegentreten, uns der Welt öffnen und sie bewusst wahrnehmen.
Wir müssen damit aufhören, vor der Realität wegzulaufen. Durch Vermeiden
lösen wir keine Probleme. Erst von dem Augenblick an, wo wir damit aufhören,
die Realität zu leugnen und zu beschönigen, und ihr stattdessen so begegnen,
wie sie ist, wird es uns möglich sein, mit schwierigen Situationen
angemessen umzugehen und realistische Lösungen zu finden. Selbst wenn die
Tatsachen zu beängstigend und zu schmerzhaft erscheinen, um mit ihnen fertig
zu werden und über sie hinauszuwachsen, müssen wir sie bewusst erkennen und
annehmen.
Die vier edlen Wahrheiten des
Buddhismus beginnen mit der Wahrheit über das Leiden, um uns unsere
tatsächliche Situation bewusst zu machen. Wenn wir nämlich nicht einsehen,
dass wir tatsächlich in Schwierigkeiten sind, werden wir auch an keiner
Lösung interessiert sein. Wenn man von Buddha als einem erleuchteten Wesen
spricht, dann durchschaute er auch unsere neurotischen Denk- und
Verhaltensmuster und sah, wie wir uns selbst betrügen und vorgeben,
glücklich zu sein, obwohl wir uns unzufrieden, allein und verlassen fühlen.
Mit der Wahrheit über das Leiden beabsichtigte Gautama uns aus unserer
trügerischen Selbstzufriedenheit aufzurütteln und uns bewusst zu machen, wie
sehr wir unsere Unzufriedenheit verdrängen, Probleme abstreiten und Ängste
und Schmerzen unterdrücken. MaW.: Buddha versuchte, uns auf die Leiden und
Schrecken des Samsara aufmerksam zu machen. In der zweiten und dritte edlen
Wahrheit zeigt er uns den Ursprung des Leidens und die Möglichkeit es zu
beenden. In der vierten edlen Wahrheit verrät uns der Erleuchtete wie wir
aus eigener Kraft Nirvana - die Beendigung allen Leidens - verwirklichen
können.
Samsara und Nirvana sind nicht Orte
oder lokale Existenzbereiche, sondern Zustände unseres Geistes. Sie sind das
subjektive Erleben der eigenen Existenz. Samsara ist das Erleben des
Melodramas, in dem wir uns gefangen sehen. Es ist die durch die
Vergangenheit geprägte, von Problemen und Leid durchdrungene persönliche
Daseinserfahrung. Wenn Sie sich daran erinnern, N.N., wie sich Ihre
Wahrnehmung Ihrer Umwelt durch Projektionen und Verdrängungen verändert,
dann können Sie vielleicht auch verstehen, wie es möglich ist, dass tief ins
Bewusstsein gesunkene Eindrücke, von denen manche bereits vor vielen
Existenzen erworben wurden, die Erlebnisqualität Ihrer derzeitigen Existenz
beeinflussen und bestimmen.
Wir alle sind es gewohnt zu glauben,
dass die Welt da draußen tatsächlich so existiert, wie wir sie wahrnehmen.
Mit dieser Überzeugung halten wir an unserem ganz persönliche Weltbild fest
und gehen auf die vermeintlich korrekten Erscheinungen dieser Welt zu.
Erinnern Sie sich an die unterschiedlichen Aussagen der Philosophen zum
Glückshorizont! Indem wir so in die Welt hinein gehen, wird die subjektive
Wahrnehmung anscheinend zu einer manifesten Erfahrung. Diese für korrekt und
zutreffend erachtete Erfahrung ruft emotionale Reaktionen und Handlungen
hervor, die uns (und auch den og. Philosophen) als Bestätigung der Echtheit
unseres Melodramas dienen. So entsteht ein Teufelskreis, indem unsere
subjektive Betrachtungsweise uns zu Reaktionen veranlasst, die wir
rückwirkend als Bestätigung für unsere Betrachtungsweise verwenden. Unser
persönliches Melodrama wird dadurch für uns zur Realität. Ununterbrochen
sammeln wir auf diese Weise Bewusstseinseindrücke, die unsere irrtümlichen
Ansichten nähren und festigen, und schaffen damit die Ursachen für den
unendlichen Kreislauf samsarischer Existenzen.
Der Gegenpol zur samsarischen
Exisistenzerfahrung ist Nirvana. Um Nirvana zu erleben, müssen die Ursachen
von Samsara beseitigt werden. Durch die Erkenntnis der Ichlosigkeit löst
sich die Anhaftung an die Ich-Identität, und damit enden die daraus
resultierenden konflikterzeugenden Geistesfaktoren und verzerrten
Realitätsvorstellungen, welche die Ursache aller Probleme und Leiden sind.
Ist die Wurzel von Samsara durchtrennt, erfährt man Nirvana, einen Zustand
frei von allen Leiden. Da aber Samsara und Nirvana keine unterschiedlichen
Orte, sondern subjektive Erfahrungen unseres Daseins sind, können zwei
Menschen an einem Tisch sitzen, wobei der eine in samsarischen
Betrachtungsweisen verstrickt ist und leidet, während der andere friedlich
und harmonisch im Zustand des Nirvana verweilt.
Wie bereits erwähnt, besagt die erste
der vier edlen Wahrheiten des Buddha, dass jede samsarische Existenz von
einem gewissen Unbefriedigtsein begleitet ist und immer wieder Sorgen und
Leiden mit sich bringt. Wenn wir über diese erste edle Wahrheit nachdenken,
dann finden wir schnell heraus, dass es viele Situationen im Leben gibt, die
offensichtlich körperliche Schmerzen und seelische Leiden verursachen. Ich
schätze, dass auch Sie zugeben, dass Krankheiten, der Tod eines
nahestehenden Menschen, der Verlust von Besitz, die Angst zu versagen oder
die Furcht vor Alter und Tod leidvoll sind. ALLE UNZUFRIEDENHEITEN UND
LEIDEN, DIE EINDEUTIG ALS SOLCHE ZU ERKENNEN SIND, WERDEN IM BUDDHISMUS ALS
"OFFENSICHTLICHE LEIDEN" BEZEICHNET.
Andere Ereignisse und Umstände, die
wir nicht als OFFENSICHT-LICHES LEID erleben, betrachten wir
unbedachterweise als neutral und denken, das sie uns Glück bringen (siehe
dazu die Betrachtungen der Philosphen zum Glück in meiner letzten Email).
Der Buddhismus ist hier anderer
Ansicht, denn er unterscheidet zwischen a) OFFENSICHTLICHEM LEID, b)
VERÄNDERLICHEM LEID und c) dem ALLES DURCHDRINGENDEM LEID.
Die zweite und dritte Art des Leidens
ist subtiler und deshalb weniger leicht zu erkennen. Doch wenn wir schöne
und angenehme Ereignisse genauer untersuchen, dann können wir sehr wohl
feststellen, dass selbst jene Dinge und Situationen, von denen wir dachten,
dass sie uns Glück bescheren, im Grunde genommen nichts anderes bewirken,
als uns temporäre Erleichterungen von einem vorangegangenen leidvollen
Zustand zu verschaffen. Sie erinnern sich, N.N. ?! Blieben wir nur lange
genug in einer scheinbar Glück bringenden Situation, dann könnten wir
beobachten, dass die anfangs noch wohltuende Glücksempfindung nachlässt,
sich langsam verändert und allmählich wieder in spürbares Leid umschlägt.
Denken Sie an das Beispiel der Bergwanderung in einer meiner früheren
Emails.
So wie mit dem Wandern und der Rast
bei einem Wochenendausflug geht es uns ununterbrochen im Leben. Wir glauben,
dass bestimmte Dinge oder Situationen so beschaffen sind, dass sie von ihrer
Natur her Glück und Zufriedenheit verleihen, dh wir schreiben ihnen
glücklich machende Eigenschaften zu und meinen, dass ihre beglückenden
Eigenschaften auf uns einwirken und uns Glück geben, so wie die Sonne ihre
Wärme verstrahlt.
Diese Ansicht haben die meisten
Menschen so sehr verinnerlicht, dass sie unaufhörlich damit beschäftigt
sind, Neues zu suchen, mehr von etwas zu bekommen oder etwas Besseres zu
finden.
Würden wir jedoch eine angenehme
Situation nicht vorzeitig verändern und etwas länger darin verweilen, dann
könnten wir beobachten, wie wir zuerst unruhig werden, dann unzufrieden und
dann anfangen zu leiden. Das sind die Merkmale des VERÄNDERLICHEN LEIDES.
Die Zusammenhänge dieser Abläufe sind
uns aber meist nicht bewusst, weil wir idR schon von der einen Sache
ablassen und uns etwas anderem zuwenden, bevor wir die offensichtliche
Unzufriedenheit und Spannung wahrnehmen. Wir erkennen dann nicht, dass wir
der einen Sache überdrüsig geworden sind, sondern sagen einfach, wir hätten
Lust auf etwas anderes. Auf diese Weise werden wir von einem Ereignis ins
nächste getrieben, ohne jemals das anhaltende Glück zu finden, nach dem wir
uns so sehr sehnen, denn VERÄNDERLICHES LEID bedeutet, dass sich alle
samsarischen Glücksgefühle früher oder später in Unzufriedenheit und Leid
verwandeln.
Aber selbst dann, wenn wir einmal
kurzfristig ohne OFFENSICHT-LICHES und ohne VERÄNDERLICHES LEID sind,
unterliegen wir der subtilsten Form des Leides, DEM ALLES DURCHDRINGENDEN
LEID.
Diese dritte Form des Leides
resultiert aus der Tatsache, dass wir im samasarischen Existenzkreislauf
gefangen sind, denn das allein schon bedeutet Unfreiheit und Begrenzung und
führt zwangsläufig immer wieder zu Leid. Völlig egal, wie ideal und
hervorragend die Gegebenheiten und Bedingungen des jeweiligen Augenblicks
auch sein mögen, die Gewissheit bevorstehender Leiden begleitet jeden von
uns ununterbrochen. Diese Gewissheit künftiger Probleme durchdringt alles,
was uns widerfährt, und trübt und dämpft somit auch jedes Gefühl von Glück
und Zufriedenheit.
Das ALLES DURCHDRINGENDE LEID, ist
ein ständiges, durchgehendes Leid, das aber von den meisten Menschen kaum
wahrgenommen wird, weil die anderen gröberen Leidensformen dominieren. Hat
man aber alle groben Leiden überwunden, dann zeigt sich auch das ALLES
DURCHDRINGENDE LEID als große Belastung und behindert die Entfaltung
wirklichen Glücks so lange, bis der samsarische Existenzkreislauf überwunden
ist, und wir den Geisteszustand des Nirvana erlangt haben.
Wie sie aus dem Gesagten erkennen
können, ist jedes Beschäftigen mit dem Glück auch ein Beschäftigen mit dem
Vermeiden von Leid. Die Erlangung des wirklichen Glücks besteht für mich in
der gänzlichen und anhaltenden Befreiung von Leid, und nicht in dem
Philosopharie der Philosphen oder in dem, was Sie oder die Menschen da
draußen unter Glück und dessen Maximierung verstehen.
Ich bin nicht erleuchtet und strebe
in dieser Existenz auch nicht danach. Auch beschreite ich den buddhistischen
Weg nicht wirklich, sondern halte es für den Rest meines Lebens für völlig
hinreichend, mich in Zufriedenheit zu üben und die daraus resultierende
Harmonie in mir und meiner Familie sowie bei meinen Geschäften und im
Verkehr mit meinen Mitmenschen so gut es eben geht aufrecht zu erhalten.
Damit habe ich Erfolg und mit diesem bin ich ebenfalls zufrieden.
Ob Sie ihr Glück auf andere Weise
finden können oder nicht, oder ob die Philosophen mit ihren hochgestochenen
Gedanken Recht behalten, oder ob die Erleuchteten im Nirvana etwa den selben
Genuss wie moslemische Märtyrer empfinden, die sich angeblich nach dem Tode
mit 72 Jungfrauen vergnügen dürfen, interessiert mich unter der Maxime der
von mir angestrebten Zufriedenheit herzlich wenig. Ich frage mich
diesbezüglich vielleicht, wo denn der Islam all die vielen Jungfrauen
hernehmen will, die heutzutage erforderlich wären, um all dessen Märtyrer zu
versorgen...
Bitte verstehen Sie: Ich will den
Gegenstand des Glücks und des Strebens nach Glück nicht mehr diskutieren,
weil mir eine Diskussion in Ansehung des bereits von mir Erkannten nicht
sinnvoll erscheint. Wie wollen sie denn mit den von Ihnen vorgebrachten
Argumenten den oben beschriebenen geistigen Mechanismus erschüttern, dem sie
doch selbst - wie auch alle anderen Nicht-Erleuchteten - unterliegen?
Jeder der in meiner letzten Email
angesprochenen Philosophen hat seinen Senf zum Glücksproblem gegeben,
teilweise mit brillant formulierten Worten, aber keiner von ihnen hat den
hier aufgezeigten Mechanismus des Geistes verstanden, geschweige denn
angesprochen. Aus diesem Grunde erweisen sich alle in meiner letzten Email
zitierten philosophischen Aussagen zu Glück, Streben nach Glück und
Glückseligkeit als Irrlichter, Illusionen und reines Wunschdenken, zumal
dabei am wahren Mechanismus des Geistes, der tatsächlich Glück und Leid
verursacht, vorbei philosophiert wurde...
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen
alles Gute und grüße Sie herzlichst Fritz"
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