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Die balinesische Priesterglocke - Teil 3 von 4
von Dr. Friedrich Demolsky

 

Die Verwendung balinesischer Ritualglocken bei religiösen Zeremonien

In den vorangehenden Teilen dieser Serie haben wir die unterschiedlichen Arten balinesischer Ritualglocken kennen gelernt. Wir haben deren Herstellung beschrieben und die magische Kraft ihres Klanges angesprochen. In diesem Teil werden wir uns mit der Verwendung dieses Ritualobjektes befassen.

Wie bereits dargelegt, werden Ritualglocken bei allen religiösen Zeremonien auf der Götterinsel von den Priestern der Sudra-Kaste (pemangku) und der Brahmanen-Kaste (pedanda) verwendet.

Die Glocke wird vom Priester dabei zu zweierlei wichtigen Zwecken eingesetzt:

1. dient sie dazu, auf das Bewusstsein der Gläubigen über den Gehörsinn mittels ihres reinen Klanges einzuwirken, um dieses auf eine höhere Ebene zu heben. Gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf die ‚heilige Handlung’ fokussiert;

2. soll mittels ihres harmonischen Klanges die Atmosphäre und Umgebung von negativen und unreinen Schwingungen, Energien, negativen mentalen Inprints und belastenden Gedankenfragmenten gereinigt werden.

Durch den Klang der Ritualglocke wird also jene reine, gehobene, harmonische und ‚heilige’ Atmosphäre geschaffen, welche eine Vorbedingung für das Gelingen des religiösen Rituals darstellt.

Ritualarbeit auf Bali – Energietransfer zu Galungan und Kuningan

Das religiöse Ritual selbst kann aus ganz unterschiedlichen Gründen durchgeführt werden. Es kann dem Wohle des Einzelnen gewidmet sein (Odalan, Toothfiling, Heirat, Menjaru, Verbrennungszeremonie und bei anderen ‚Rites of Passage’), oder es soll dem Wohle einer Gruppe oder der Gemeinschaft der Inselbewohner dienen.

Letzteres trifft auf alle religiöse Zeremonien zu, die in den zahlreichen Familien- und Dorftempeln häufig durchgeführt werden, und insbesondere auf jene, die zu den religiösen Hindu-Feiertagen ‚Galungan’ und ‚Kuningan’ überall auf Bali gleichzeitig stattfinden.

Durch die synchrone Durchführung jener Zeremonien, kommt es während der Hauptfeiertage Galungan und Kuningan zu einer enormen, spirituell orientierten Kraftübertragung auf Bali.

Einige Mitglieder einer jeden balinesischen Familie sind an diesen Feiertagen vor ihrem Haustempel versammelt, und andere Mitglieder derselben Familie befinden sich zu dieser Zeit bereits in ihrem weiter entfernt gelegenen Familientempel. Es gibt Zehntausende Haustempel auf Bali. Diese befinden sich in jedem Familiencompound auf der Insel. Und es gibt Hunderte Familientempel auf der Götterinsel. Jede balinesische Großfamilie und die große Zahl ihrer Seitenverwandten gehören ein und demselben Familientempel an.

Abertausende, vor ihren Haustempeln versammelte Familienmitglieder imaginieren nun zur gleichen Zeit innere Bilder mit religiösem Bezug.

Diese Bildschöpfungen aus der Tiefe der Seele werden als eine Art 'spirituelle Energie' von den vor allen Haustempeln versammelten Familienmitgliedern zur gleichen Zeit durch inbrünstiges Beten und Imaginieren erzeugt.

Die imaginierten inneren Bilder und Gedanken werden gebündelt und durch einen Willensakt jedes einzelnen Familienmitgliedes, das sich vor seinem Haustempel befindet, auf seine im weiter entfernten Familientempel wartenden Verwandten übertragen.

Auf diese Weise wird auf Bali halbjährlich ein kraftvoller, mentaler Energietransfer simultan durchgeführt.

'Spirituelle Energie' wird in der Form religiöser Imaginationen zur gleichen Zeit von Tausenden Balinesen auf ihre Familienmitglieder und Verwandten, die sich im weiter entfernt gelegenen Familientempeln befinden, übertragen.

In den Familientempeln warten zu dieser Zeit bereits andere Mitglieder und Verwandte der selben Familie mit ihrem Priester (pemangku) auf den zuvor beschriebenen Energietransfer.

Sobald dieser stattfindet, übertragen nun auch diese Gruppen die von ihren Familienmitgliedern (im Haustempel) empfangene spirituelle Energie auf mentaler Ebene auf wieder andere Familienmitglieder, die zu dieser Zeit im Dorftempel (Puri Desa) gemeinsam mit einem oder mehreren Priestern auf diesen Energietransfer warten.

Von den Hunderten Dorftempeln auf Bali erfolgt nun ein weiterer Energietransfer durch einen oder mehrere Priester auf den zweitwichtigsten Tempel Balis, den Pura Uluwatu im Süden der Insel.

Auch in diesem Tempel warten zur gleichen Zeit Dutzende Priester und Hohepriester auf den Empfang der von den Dorftempeln übertragenen und nunmehr potenzierten spirituellen Energie, um anschließend den letzten gewaltigen Energietransfer auf den heiligsten aller Tempel Balis und die dort anwesenden Gläubigen und Priester vorzunehmen. Die höchste Potenz der auf diese Weise überall auf Bali gleichzeitig durchgeführten Energietransfers wird von den höchsten balinesischen Priestern mental auf den Mutter-Tempel in Besaki und die dort anwesenden Personen projiziert.

Der Haupt- und Muttertempel, Pura Besaki, wird durch den Transfer dieser ungeheuren Menge an spiritueller Energie alle sechs Monate mit jenem geistigen Substrat imprägniert, das wir mit dem Begriff ‚Heiligkeit’ zu umschreiben pflegen.

Eka Dasa Rudra – Purifikationsritual des gesamten Universums

Aber es gibt sogar ein noch größeres religiöses Ritual auf Bali, das ‚Eka Dasa Rudra’ genannt wird und nur einmal in jedem Jahrhundert im Mutter-Tempel Besaki stattfindet. Dabei handelt es sich um ein Purifikationsritual des gesamten Universums, das viele Blutopfer von allen auf der Insel vorkommenden Tieren verlangt.

Das letzte Eka Dasa Rudra wurde im Jahre 1979 durchgeführt.

All diese religiösen Zeremonien werden auf Bali deshalb durchgeführt, um die Götter und guten Geister durch Gebete, Rezitation von Mantras und Opfergaben im Hinblick auf das Wohlergehen des Einzelnen und der Gemeinschaft günstig zu stimmen.

Von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, könnte man auch sagen, dass all diese religiösen Zeremonien nur deshalb durchgeführt werden, um den Einzelnen und die Gemeinschaft vor Übel aller Art und negativen Energien zu schützen und vom verheerenden Einfluss böser Geister und Dämonen zu bewahren.

Die Balinesen sind keinesfalls paranoid in ihrer Weltbetrachtung. Sie sind sich vielmehr ihrer Verbundenheit mit dem Göttlichen stets bewusst. Aber sie kennen auch die antagonistischen Kräfte der Versuchung und des Übels, die dieser Göttlichkeit diametral entgegengesetzt sind.

Jeder Balinese weiß, dass die Dämonen überall - also auch in ihm selbst – lauern und nur auf eine Gelegenheit oder Schwäche warten, um ihre negativen Kräfte zu entfalten.

Die oberste Maxime der Spiritualität auf Bali

Da das Göttliche und das Dämonische einander bedingen und als Polaritäten dieser Existenz betrachtet werden, geht es in all diesen religiösen Zeremonien und Ritualen auf Bali letztendlich darum, einen Ausgleich zwischen diesen beiden polaren Kräften herzustellen. Ausgleich und Balance sind für den Balinesen die oberste Maxime seiner Spiritualität.

Der Schlüssel, um die Balance zwischen den positiven und negativen Kräften herzustellen und das dynamische Gleichgewicht dieser antagonistischen Kräfte so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, ist dem Balinesen ein Geisteszustand inneren und äußeren Friedens.

Religiöse Zeremonien und Rituale auf Bali zielen darauf ab, diese Harmonie zwischen dem Individuum und der Welt immer wieder aufs Neue herzustellen und so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.

Die Ritual- oder Priesterglocke ist ein wichtiges Instrument auf Bali, um die Vorbedingungen für das Gelingen dieser religiösen Rituale zu schaffen.

Der magische Klang dieser besonderen Glocke schafft die Vorbedingungen für den Ausgleich antagonistischer Kräfte beim Einzelnen und für das Gemeinwesen. Die dadurch bewirkte Harmonie spiegelt sich insbesondere in den Gesichtern der Inselbewohner als ein anmutiges Lächeln wider, dem wir an allen Orten Balis begegnen. Die Freundlichkeit der Balinesen, die auch heute noch im Einklang mit der Natur und dem Schöpfer leben, liefert wohl den besten Beweis für die Wirksamkeit ihrer religiösen Zeremonien und der dabei verwendeten Ritualgegenstände.

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